Überforderung der Kommunen
Leitantrag: | Grünes Land – Programm für zukunftsfähige ländliche Räume in Mecklenburg-Vorpommern |
---|---|
Antragsteller*in: | Steffi Kühn (KV Mecklenburgische Seenplatte) |
Status: | Angenommen |
Eingereicht: | 21.04.2023, 09:03 |
Leitantrag: | Grünes Land – Programm für zukunftsfähige ländliche Räume in Mecklenburg-Vorpommern |
---|---|
Antragsteller*in: | Steffi Kühn (KV Mecklenburgische Seenplatte) |
Status: | Angenommen |
Eingereicht: | 21.04.2023, 09:03 |
Grünes Land – Programm für zukunftsfähige ländliche Räume in Mecklenburg-
Vorpommern
Über 90% unserer Landesfläche sind ländliche Räume. Fast zwei Drittel von uns
hier im Nordosten Deutschlands leben in ländlichen Räumen, nur ein Drittel wohnt
in Städten. Der demografische Wandel hat unsere Landschaft in den vergangenen
Jahrzehnten dramatisch verändert: Wir wurden viel weniger, deutlich älter und
auch etwas bunter. Mit den absehbaren Folgen der allgegenwärtigen Klimakrise
stehen weitere, einschneidende Veränderungen bevor. Diesen Wandel wollen wir
gemeinsam gestalten.
Bisherige Landesregierungen fühlten sich ohnmächtig vor Strukturen, in denen sie
nur Schwächen sahen und reagierten resigniert mit Schrumpfungsstrategien: Aber
LPG-Umwandlungen, Kreisgebietsreform, Schulschließungen, Streckenstilllegungen,
Klinikfusionen, Gerichtsstrukturreform, Energieversagen und
Digitalisierungsbremse haben die Landflucht stattdessen beschleunigt. Diese
Politik der Konkursverwaltung ist offensichtlich gescheitert.
Wenn es, trotz allem, inzwischen wieder leichten Zuzug gibt, so weil immer mehr
Menschen – vor allem gut qualifizierte Fachkräfte mit ihren jungen Familien –
auch die Vorteile unserer ländlichen Räume für ihre Lebensmodelle entdecken. Um
diesen Trend zurück aufs Land zu verstärken und zu stabilisieren, fehlen in den
Landes- und Kommunalverwaltungen jedoch Förderkonzepte. Wer den Wandel in MV und
in unseren Kommunen nicht nur verwalten, sondern ihn auch gestalten will, muss
die Stärken und das Entwicklungspotenzial in den sogenannten ‚strukturellen
Schwächen‘ erkennen und neue Wege gehen.
Seit unserer Gründung vor genau 30 Jahren stellen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN MV immer
wieder einzelne Initiativen für eine nachhaltige Entwicklung der Fläche zur
Diskussion, ob als Parteibeschluss, in Wahlprogrammen oder mit Fraktionsanträgen
im Landtag und in den Kommunalparlamenten. Bislang und in absoluten Zahlen mag
unsere größte Unterstützung bislang vielleicht in den wenigen, größeren Zentren
des Landes zu verzeichnen sein. Unsere wachsende Bedeutung verdanken wir aber
nicht zuletzt unserem beharrlichen Einsatz für einen befruchtenden Austausch
zwischen Stadt und Land.
Denn die Ursprünge unserer Partei liegen sowohl bei den Bäuer*innen und
Raumpionier*innen wie auch bei den Umweltbibliotheken und
Konsumgenossenschaften. Von Anfang an ging es uns allen beim Brot nicht nur ums
Getreide, sondern auch um den Boden, die Insekten, das Saatgut, den Transport,
die Wirtschaftlichkeit und gerechte Entlohnung sowie auch die globalen Folgen.
Wer sich grün engagiert, denkt und handelt ganzheitlich und fordert, hierzulande
erst recht, grüne Ideen fürs Land.
Hiermit legen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN MV nun erstmals ein Programm für unsere
ländlichen Räume in Mecklenburg-Vorpommern vor. Dabei leiten uns diese
Einsichten:
01. Ländliche Räume bieten das größte Gestaltungspotenzial für ein
zukunftsfähiges Mecklenburg-Vorpommern. Dabei wollen wir die ländliche Qualität
ebenso wie die Vielfalt der ländlichen Räume behutsam und gemeinsam erhalten und
entwickeln. Zentral ist hierfür die Bewahrung unserer Lebensgrundlagen durch
Gewässerschutz, Schutz von Arten und Biotopen sowie in einer ökologischen und
bäuerlichen Landwirtschaft und regionale Wertschöpfung.
02. Alle, die hier leben, müssen die Möglichkeit bekommen, den
Transformationsprozess mitzugestalten. Um Mitsprache und Mitbestimmung zu
ermöglichen, wollen wir verschiedene Beteiligungsprozesse wie Umfragen,
Bürger*innenforen, Zukunftswerkstätten und Dorfreferenden nutzen. Besonders aber
wollen wir mehr Mittel nach dem Community-led Local Development Prinzip
einsetzen, LEADER so stärken und mehr konkrete Mitbestimmung vor Ort
ermöglichen. Auf dem Land wollen wir Demokratische Praxis und Teilhabe vorleben
– unmittelbar und zuverlässig.
03. Der Austausch der ländlichen Räume mit ihren benachbarten, urbanen Zentren
und Ballungsräumen muss gerecht gestaltet werden: Im ureigensten Interesse
müssen die Metropolregionen Hamburg, Berlin und Szczecin sowie die Regiopole
Rostock, aber auch die Ober-, Mittel- & Grundzentren des Landes auf Augenhöhe
mit den ländlichen Räumen kooperieren, um gleichwertige Lebensverhältnisse zu
garantieren.
04. Kommunen brauchen Handlungsspielräume durch eine gerechte angemessene
Finanzierung. Darüber hinaus müssen Haushaltskonsolidierungen und freiwillige
Leistungen für Gemeinden ermöglicht werden. Kommunen müssen die Möglichkeiten
der Rekommunalisierung von Infrastruktur und Land ausschöpfen und zusätzliche
juristische Mittel bekommen. Dafür soll ein Landesprogramm finanziell
unterstützen, wenn sich die Vorhaben mittel- oder langfristig rentieren.
05. Investitionen in Infrastrukturen ermöglichen freie Entfaltung und sichern
Wohlstand und gleichwertige Lebensverhältnisse: Dazu gehören Zugang zu Energie,
Wasser/Abwasser, Mobilität, Digitalisierung,
Gesundheit/Pflege/Rettung/Prävention, Sport, Bildung, Versorgung, Politik und
Kultur. Dafür sind Kleinstädte zu stärken und regionale Wertschöpfungskreisläufe
aufzubauen.
06. Unsere Ländlichen Gestaltungsräume müssen endlich auch tatsächlich gestaltet
werden: Die 2016 eingeführte Raumkategorie des Landesentwicklungsprogramms zur
Entwicklung demografisch besonders herausgeforderter Landesteile sind konkret
als Programmfokus und Förderkulisse zu nutzen.
07. Der demografische Wandel ist umkehrbar: Beim Tourismus, beim Pendeln und bei
der Migration gilt es, durch Digitalisierung, Workation, Homeoffice, Coworking,
Maker-Spaces, Startup-Förderung, Integration und Qualifikation verlängerte,
wertschöpfende Aufenthalte, Rückkehr und Zuzug zu ermöglichen.
08. Engagement und Care-Arbeit müssen engagierter gefördert werden: Bestehende
Nachbarschaftshilfe und Angehörigenunterstützung können gerade auf dem Land
besser vernetzt und integriert werden, damit Hilfe für Alle auf viele Schultern
verteilt wird. Freiwilliges Engagement ist eine gemeinschaftsstiftende und
erneuerbare Energie.
09. Rechtsextremistische Akteur*innen bemühen sich auch in Mecklenburg-
Vorpommern darum, vom Staat vernachlässigte ländliche Räume zu besetzen. Ihren
Raumergreifungsstrategien treten wir entschieden entgegen. Widerstand gegen
Demokratie- und Menschenfeindlichkeit braucht jede staatliche und
zivilgesellschaftliche Unterstützung.
10. Klimaschutz und Klimaanpassung sind unsere Stärke im ländlichen Raum: Die
entscheidenden Beiträge zur Begrenzung des Klimawandels erbringen wir in
Mecklenburg-Vorpommern in unseren ländlichen Räumen. Zugleich sind wir vor Ort
sehr stark von Klimafolgen betroffen. Klimapolitik ist zentral für die Zukunft
auf dem Land.
Diese Einsichten führen uns zu den folgenden Forderungen:
Mobilität ist ein Grundbedürfnis und Grundrecht des Menschen. Sie schafft
Begegnung, Unabhängigkeit und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Das gilt für
Stadt und Land. Wohnortnahe und zeitgemäße Angebote für Versorgung, Gesundheit,
Bildung, Arbeit, Engagement und Freizeit verringern dabei weite Fahrten und
sollten daher im Zentrum einer Mobilitätswende stehen. Genauso müssen alle
Geschlechter und Altersklassen in der Mobilitätsplanung berücksichtigt werden,
damit schutzbedürftige Personen sich sicher und ungehindert im Land und in den
Kommunen bewegen können.
Wachsender Personalmangel und hohe Betriebskosten durch wenige Menschen auf
einer großen Fläche erfordern eine deutlich bessere Finanzierung des Angebotes
des öffentlichen Nahverkehrs. Ansonsten bleiben die Menschen auf dem Land
langfristig abgehängt. Schon jetzt besitzt ein Viertel aller Haushalte in MV
kein Auto und/oder kann nicht fahren. Das ist gerade für Jugendliche ein
Beeinträchtigung in ihrer sozialen Entwicklungsphase. Besonders diesen Gruppen
möchten wir gerecht werden und im ländlichen Raum eine echte Alternative zum
Auto bieten.
Wir brauchen im ganzen Land eine zeitgemäße Verkehrspolitik, die bezahlbare,
zuverlässige und klimafreundliche Mobilität für alle Menschen sicherstellt. Wir
wollen attraktive Alternativen zum individuellen Auto – Mobilität muss für alle
möglich sein.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mecklenburg-Vorpommern fordern:
Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sind unsere Zukunft. Leider haben junge
Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, ganz besonders im ländlichen Raum, heute
noch nicht die gleichen Chancen und Möglichkeiten, die es in anderen Regionen
gibt. Das wollen wir ändern: Damit junge Menschen hier bleiben können und alles
finden, was sie brauchen, um sich ein gutes Leben aufzubauen und sich
verwirklichen zu können.
Um das Leben junger Menschen im ländlichen Raum besser zu machen, wollen wir:
Die Kommunalverfassung von 2011 sichert demokratische Teilhabe nicht
ausreichend. Zudem wurden auch die Wege des Staates zum Schutz und zur Rettung
der Bürger*innen weiter. Wir antworten mit der Rückkehr des Staates in die
ländlichen Räume. Demokratie muss auch in den ländlichen Räumen wehrhaft und
erlebbar bleiben. Demokratische Teilhabe und alle Formen der
Bürger*innenbeteiligung müssen stark gefördert werden. Zukunft muss als
gemeinsam gestaltbar wahrgenommen werden. Das Interesse an demokratischer
Teilhabe ist in ländlichen Räumen groß, wird aber in vielen Gemeinden nicht
explizit aufgegriffen. Dazu kommt, dass gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
und Missachtung unseres rechtsstaatlich-demokratischen Gemeinwesens nach wie vor
unser Zusammenleben in einer offenen Gesellschaft besonders in den dünner
besiedelten ländlichen Räumen gefährden. Dies darf daher auch gerade hier nicht
geduldet werden und Strukturen demokratischer Teilhabe müssen dem
entgegenwirken.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mecklenburg-Vorpommern fordern:
Wir wollen eine Kultur des Ermöglichens im ländlichen Raum schaffen und gegen
die grassierende Perspektivlosigkeit die Erfahrung von Selbstwirksamkeit setzen.
Mit klugen Ansätzen beim Planen und Bauen sollen Menschen mit Ideen und
Engagement dabei unkompliziert unterstützt werden, um ihren Gemeinden neuen
Schwung geben zu können. Die Themenfelder Demografie, Wohnen, Soziales, Kultur,
Energie, Mobilität, regionale Wirtschaftskreisläufe und Klimaschutz wollen wir
zusammen denken. Wir wollen die Anpassung an den Klimawandel als Chance zur
Revitalisierung unserer Kleinstädte und Dörfer nutzen. Es gilt, die Ortsmitten
als Kristallisationspunkte für eine lebendige, gemeinwohlorientierte
Gesellschaft zu erhalten, zu reaktivieren und zukunftsfähig zu machen. Das
Prinzip der Innen- vor Außenentwicklung leistet dabei einen zentralen Beitrag
zur bundesgesetzlich vorgeschriebenen Reduzierung des
Landschaftsflächenverbrauchs.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mecklenburg-Vorpommern fordern:
Rund 15% der Menschen in unserem Land verdienen direkt oder indirekt ihren
Lebensunterhalt mit dem Tourismus. Mecklenburg-Vorpommern ist besonders als
innerdeutsches Reiseziel beliebt und konnte seine Übernachtungszahlen nahezu auf
Vor-Corona-Niveau stabilisieren. Gleichzeitig sinkt die Tourismusakzeptanz unter
den Einheimischen besonders in Hot Spots an der Küste, wie Usedom oder Rügen.
Ebenso ist eine Abnahme der Zufriedenheit der Gäste festzustellen. Beides stellt
uns vor Herausforderungen. Auf der einen Seite ist der Tourismus besonders für
ländliche Räume eine Chance für wirtschaftliche Entwicklungen, auf der anderen
Seite überfordert er im Übermaß schnell die Infrastruktur. Es gilt, eine gute
Balance zwischen Tourismus als starkem Wirtschaftszweig, dem Erhalt und Ausbau
der Wertschöpfung vor Ort und dem Bewusstsein über die Besonderheit unseres
Landes herzustellen und zu etablieren.
Die Menschen kommen nach Mecklenburg-Vorpommern, um Urlaub in einer intakten und
einzigartigen Naturlandschaft zu verbringen. Es ist unsere Aufgabe, diese zu
erhalten und den Tourismus nachhaltig für Mensch und Natur zu gestalten. Wir
wollen erreichen, dass unser Bundesland das Land zum Leben bleibt und nicht nur
ein Land zum Urlaubmachen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern:
Frauen sowie Inter-Menschen, nicht-binäre -, Trans* Personen und Menschen ohne
Geschlechtsidentität sind in unserer Gesellschaft in vielen Bereichen noch immer
benachteiligt oder sogar ganz ausgeschlossen. Das gilt insbesondere in
ländlichen Räumen, deshalb gibt es hier besonders viel zu tun, bis zum Beispiel
die Istanbul-Konvention vollständig erfüllt ist. Einrichtungen, die sich mit
Themen, die Frauen sowie Inter-Menschen, nicht-binäre -, Trans* Personen und
Menschen ohne Geschlechtsidentität betreffen, beschäftigen, müssen von Land und
Kommunen bedarfsgerecht finanziert werden.
Darüber hinaus fordern BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN MV:
Mecklenburg-Vorpommern als Küsten- und Flächenland bietet mit seinen
erneuerbaren Energien die besten Möglichkeiten für unsere Wirtschaft, lokal und
regional zu produzieren. Die größten Herausforderungen liegen hierbei für viele
Unternehmen im bevorstehenden Generationenwechsel und darin, ausreichend
Fachkräfte vor Ort zu gewinnen und zu halten, aber auch die Digitalisierung zur
Verbesserung der Betriebsabläufe und zur eigenständigen Wertschöpfung effektiv
zu nutzen. Dafür sind ein lebenswertes Umfeld und eine ausreichende
Infrastruktur das A und O. Zentrale Anlaufstellen (One-Stop-Shop) für
Ansiedlung, Meldungen, Förderung und Vermittlung helfen unseren Unternehmen
weiter. Gemeinsam mit den Bürger*innen vor Ort schaffen wir ein gutes Klima für
gute Unternehmungen.
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Mecklenburg-Vorpommern fordern deshalb:
Gerade in unseren ländlichen Räumen können digitale Angebote weite Wege sogar
überflüssig machen. Ausgerechnet hier klaffen allerdings aufgrund einer
gescheiterten Digitalisierungspolitik nach wie vor große Lücken im Netz. Um der
akuten Bedrohungslage durch Cyberangriffe gerecht werden zu können, muss in die
sichere und nachhaltige Digitalisierung investiert werden. Dazu gehört IT-
Sicherheit und Datenschutz, eine Open-Source-Strategie sowie die Absicherung der
kritischen Infrastrukturen, zu denen auch Stadtwerke und andere kommunale
Versorgungsunternehmen und Dienstleister zählen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mecklenburg-Vorpommern fordern:
Wir wollen die Kultur in den Kommunen zukunftsfest machen. Bibliotheken,
Jugendkunstschulen, Museen, Galerien oder Musikschulen aber auch eine
Vereinsstruktur sind wichtige Faktoren, um Bildung zu fördern, Identität zu
stärken, Gesellschaft zusammenzuhalten und die Regionen lebenswert zu erhalten.
Zurzeit sind kulturelle Leistungen der Kommunen als freiwillige Leistungen nicht
vor gravierenden Kürzungen geschützt. Aus diesem Grund fordern wir ein
bundesweites Kulturfördergesetz, damit Kulturangebote nicht immer wieder
grundlegend zur Diskussion stehen. Außerdem müssen die Förderkriterien an
ländliche Bedürfnisse angepasst werden und bspw. höhere Fahrtkosten und größeren
Vernetzungsbedarfe berücksichtigt werden.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mecklenburg-Vorpommern fordern:
Klimaschutz wird vor Ort umgesetzt. Dafür braucht es nicht nur Motivation und
finanzielle Mittel, sondern auch Know-how. Für die Energiewende im ländlichen
Raum kämpfen wir um Mehrheiten in den Gremien. Aber oft auch gegen Widerstände
in der Verwaltung, die unter Personalmangel leidet und den Klimaschutz nicht als
Pflichtaufgabe sieht. Dabei profitieren nachhaltig auch die Gemeindefinanzen,
wenn gleich eine PV-Anlage mit aufs reparierte Dach gelegt und die Ölheizung
gegen eine Wärmepumpe ausgetauscht wird, statt sie nochmals teuer Instand zu
setzen. Gerade im ländlichen Raum, wo wir die Akzeptanz für die Energiewende
brauchen, müssen wir allen Orientierung für Zukunftsinvestitionen geben. Wird in
der Gemeinde ein Wärmenetz entstehen? Kann die Abwärme einer Biogasanlage, eines
Elektrolyseurs oder eines Industriebetriebes genutzt werden? Oder muss jedes
Haus eine eigene Wärmepumpe oder Heizung installieren?
Bürgerschaftliches Engagement in seiner ganzen Breite macht besonders auf dem
Land den Unterschied in der Lebensqualität. In den Dörfern gibt es zahlreiche
Initiativen und soziokulturelle Vereine, die soziale Treffpunkte, sogenannte
„Dritte Orte“, schaffen. Diese gilt es zu unterstützen, da Defizite in der
sozialen Infrastruktur gravierende Folgen für das soziale Miteinander und den
Dialog haben. Sie verschärfen Einsamkeitserleben und soziale Isolation. Auch um
Polarisierungen von unterschiedlichen Milieus und Bevölkerungsgruppen
entgegenzuwirken und antidemokratischer Kräfte einzudämmen, bedarf es dieser
dritten Orte, die auf Partizipation und Austausch setzen. Die
Ehrenamtsstiftungen (Bund und Land) leisten einen wichtigen Beitrag, die Aktiven
zu unterstützen. Darüber hinaus bedarf es weiterer Unterstützung.
Viele Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern sind stark verschuldet und haben
dadurch in ihren Finanzen keinen Spielraum, die Vorstellungen der Bürger*innen
vor Ort umzusetzen. Doch es fehlt nicht nur Geld in den Haushalten der Kommunen:
Fördergelder werden nicht abgerufen oder sind von vorn herein aufgrund des hohen
Eigenanteils nichts abrufbar. So gibt es für finanziell schlecht aufgestellte
Kommunen über Jahre hinweg kaum eine Perspektive. Die Förder- und
Entwicklungslogik unterliegt dabei einem kapitalen Fehler. Die Entwicklung der
ländlichen Räume wird weitestgehend als ein Unterkapitel der
Landwirtschaftsförderung betrachtet. Dabei sind in MV nur ca. 2 % der Menschen,
die in ländlichen Räumen leben in der Agrar-, Forst- oder Fischereiwirtschaft
tätig. Wir brauchen also eine ländliche Entwicklungs- und Förderpolitik, die in
erster Linie die 98% der Menschen in den Blick nimmt. Dafür wollen wir die
bisherige Förderlogik aufbrechen, die Entwicklung der ländlichen Räume von der
Landwirtschaft lösen, stattdessen in die Wirtschafts- und Sozialförderung
integrieren und auf Basisdemokratie und Subsidiarität setzen. Wir wollen den
Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern endlich wieder die Möglichkeit geben, in
ihre Zukunft zu investieren, statt nur den Ist-Zustand zu verwalten.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mecklenburg-Vorpommern fordern:
Bildung schafft die Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben und für echte
gesellschaftliche Teilhabe. Wir brauchen interessierte, kreative und gut
ausgebildete Menschen in Mecklenburg-Vorpommern. Doch in unserem Bundesland
landen weiterhin viel zu viele Kinder und Jugendliche im Laufe ihres
Bildungsweges auf dem Abstellgleis. Der Unterrichtsausfall hat in den
vergangenen Jahren wieder zugenommen. Inzwischen ist der Lehrkräftemangel so
groß, dass jede zweite freie Stelle nicht mehr mit einer ausgebildeten Lehrkraft
besetzt werden kann. Die Inklusion läuft auf Kosten der Kinder als Sparmodell
und die Schulen sind noch längst nicht bereit für die Herausforderungen der
Digitalisierung.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mecklenburg-Vorpommern fordern deshalb:
Unsere ländlichen Regionen sind mit der vielfältigen Natur ein Reichtum unseres
Bundeslandes. Eine intakte Natur ist von unschätzbarem Wert an sich, aber auch
Lebensversicherung und gesundheitsfördernder Raum und Grundlage für eine
zukunftsfähige Wirtschaftsentwicklung. Feldwege, Alleen, Feldhecken und Moore
sowie naturnahe Wälder und Küsten wollen wir als bedeutungsvolles Kultur- und
Naturerbe und dorfverbindende Elemente bzw. Naherholungsraum schützen und
entwickeln, denn sie prägen den Charakter der ländlichen Regionen. Wir wollen
eine vielfältige, ökologisch ausgerichtete Landwirtschaft zielgenauer fördern
und über bio-regionale Gemeinschaftsverpflegung Bäuer*innen neue Absatzwege und
weiterverarbeitendes Gewerbe gezielt ansiedeln um die Wertschöpfung in der
Region zu halten. So schaffen wir Planungssicherheit für Landwirt*innen und
ermöglichen allen Menschen den Genuss von gesunden Produkten aus der eigenen
Region.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mecklenburg-Vorpommern fordern deshalb:
Auch viele konventionelle Landwirt*innen wollen bzw. arbeiten bereits aktiv und
erfolgreich an einer zukunftsfähigen Entwicklung und Wiederbelebung unserer
Kulturlandschaft. Sie gilt es zu unterstützen und Leistungen für Klima, Umwelt,
Tierschutz und Dorfentwicklung entsprechend zu honorieren. Wir wollen alle
Landnutzenden beim umwelt-, klima- und tierschutzgerechten Umbau und die
gemeinnützigen Leistungen der Bäuer*innen unterstützen, auch durch die Stärkung
regionaler Wertschöpfungsketten. Zahlreiche Flüsse und Seen sowie die Ostsee-
Küste prägen unsere ländlichen Räume. Durch überfischte Bestände und Einflüsse
der Klimakrise auf ihre Reproduktion und den notwendigen Fangbeschränkungen ist
die Küstenfischerei jedoch in ihrer Existenz bedroht und damit auch ein Teil
unserer Küstenkultur und unserer touristischen Attraktivität. Sie gilt es zu
erhalten, durch eine Pflege der Fischbestände und durch vielseitige
Vermarktungsansätze. Wir wollen der Fischwirtschaft helfen sich über die reine
Fischerei hinaus vielfältiger aufzustellen, um sie als regionalen
Wirtschaftszweig wie auch als Kulturgut zu erhalten.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mecklenburg-Vorpommern fordern:
Die gesundheitliche Versorgung muss verbessert werden, dass gilt vor allem für
ländlich geprägte Regionen, in denen der Weg zum Arzt weit und die Mobilität
begrenzt ist. Wir wollen gesundheitliche Versorgung und sozialen Raum
miteinander verbinden. Um in Zeiten vielfältiger Krisen, die Menschen zunehmend
in Notlagen verschiedenster Art bringen, erste Hilfsangebote zu gewährleisten,
brauchen wir auch im ländlichen Raum ein breit aufgestelltes Beratungsangebot.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mecklenburg-Vorpommern fordern:
Überforderung der Kommunen
Kommentare