Veranstaltung: | Landesdelegiertenkonferenz 23.09.2023 |
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Tagesordnungspunkt: | 11. Verschiedene Anträge (V-Anträge) |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesdelegiertenkonferenz LV MV |
Beschlossen am: | 23.09.2023 |
Antragshistorie: | Version 2 |
Ambulante Pflege in MV stärken
Beschlusstext
Die Landesdelegiertenkonferenz Bündnis90/Die Grünen Mecklenburg-Vorpommern
beschließt folgendes:
Der Landesverband Bündnis90/Die Grünen Mecklenburg-Vorpommern fordert die
Landesregierung auf…
1. Finanzielle Hilfen bereit zu stellen, um damit die drohenden Insolvenzen von
ambulanten Pflegediensten in Mecklenburg-Vorpommern verhindern zu können.
2. Mit dem Bündnis „Pflege in Not MV“ in einem konstruktiven Austausch über die
Entwicklung und Probleme in der ambulanten Pflege in Mecklenburg-Vorpommern zu
bleiben.
3. Gemeinsam mit Pflegediensten und Krankenkassen in Mecklenburg-Vorpommern
Vereinbarungen zu treffen, wie weitere Lohnerhöhungen in der Altenpflege in
Zukunft für beide Seiten finanzierbar bleiben.
4. Die weiteren Verhandlungen zwischen den Pflegediensten und Krankenkassen in
Mecklenburg-Vorpommern über die Höhe der Vergütungen im SGB V Bereich zu
moderieren und bei Bedarf zwischen beiden Seiten zu vermitteln
5. Sich dafür einzusetzen, dass Pflegedienste für jede erbrachte Leistung aus
dem SGB V Bereich von den Krankenkassen bezahlt werden.
6. Sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass die festgelegte Steigerung der
Pflegesachleistungen um nur 5% zum 01.01.2024 schnellstmöglich angehoben wird.
Die Landtagsfraktion Bündnis90/Die Grünen MV soll sich im Rahmen ihrer
politischen Arbeit dafür einsetzen, dass die Forderungen umgesetzt werden.
Begründung
In Mecklenburg-Vorpommern leben über 120.000 Pflegebedürftige (Tendenz steigend). Die Pflegequote (Anteil der Pflegebedürftigen in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe) in Mecklenburg-Vorpommern liegt daher mit ca. 7,6 Prozent deutlich über dem Bundesdurchschnitt (6,0 Prozent).1
Der Großteil der pflegebedürftigen Menschen wird in der eigenen Häuslichkeit von den Angehörigen und/oder von einem ambulanten Pflegedienst versorgt. Aus diesem Grund ist es dringend notwendig, eine gut ausgebaute ambulante Pflegeversorgung im ganzen Bundesland zu gewährleisten.
Die Einführung der verpflichtenden Tarifbindung war ein richtiger und wichtiger Schritt, da es dadurch zu einer stufenweisen und spürbaren Erhöhung der Löhne in der Altenpflege kam.
Die Krankenkassen in Mecklenburg-Vorpommern passten die Finanzierung der Leistungen jedoch nicht an den Gehaltserhöhungen der Pflegekräfte an, sodass die ambulanten Pflegedienste über Monate hinweg die steigenden Löhne selbst finanzieren mussten. Aus diesem Grund geraten bis heute immer mehr Betriebe in finanzielle Not, wodurch die notwendige Versorgung für immer mehr Pflegebedürftige in akute Gefahr gerät.
Zu 1.:
Jede Pleite eines Pflegedienstes reißt ein zusätzliches Loch in die pflegerische Landschaft, die bereits schon heute – insbesondere in ländlichen Regionen – kaum noch vorhanden ist. Dies trifft auch auf Anbieter zu, die sich aus der ambulanten Versorgung zurückziehen und sich künftig auf die stationäre Altenpflege konzentrieren wollen. Im bpa M-V sind rund 300 ambulante Pflegedienste vertreten. Laut Angaben des bpa haben ca. 75 Prozent von ihnen ernstzunehmende Existenzängste, da ihre gesamten finanziellen Rücklagen in den letzten Monaten aufgebraucht wurden2.
Selbst wenn nur einzelne Pflegedienste aufgrund von Insolvenzen vom Markt verschwinden, wird die pflegerische Versorgung für immer mehr Betroffene in Zukunft nicht mehr gewährleistet sein. Geraten die Pflegedienste flächendeckend in die Insolvenz oder ziehen sich aus der ambulanten Versorgung zurück, bricht das ganze System zusammen. Dies muss – auch durch die Politik – unbedingt verhindert werden.
Zu 2.:
Anfang 2023 haben sich ca. 175 Pflegedienste aus Mecklenburg-Vorpommern in einem Brandbrief an die Landesregierung zu Wort gemeldet, um auf die prekäre Situation in der Pflege aufmerksam zu machen3. Daraus ist das Netzwerk „Pflege in Not MV“ entstanden. Dieses Netzwerk ist der erste Zusammenschluss vieler Pflegedienste aus dem ganzen Bundesland, um gemeinsam auf die Probleme in der ambulanten Pflege aufmerksam zu machen und als Ansprechpartner auch für die Politik zu fungieren. Dieser Austausch zwischen Politik und Netzwerk ist auch in Zukunft unverzichtbar, um die Probleme in der Pflege zu besprechen und zu lösen, da diese häufig tiefgreifender sind, als es in der allgemeinen Wahrnehmung und dem politischen Diskurs angenommen wird. Mit dem Netzwerk hat die Pflege zum ersten Mal die Möglichkeit, sich in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen.
Zu 3.:
Um weitere Lohnerhöhungen in der Altenpflege zu gewährleisten, brauchen die Krankenkassen und Pflegedienste in Mecklenburg-Vorpommern die Sicherheit, ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung zu haben.
Da Pflege zur Grundversorgung gehört, ist es auch die Aufgabe der Politik, für diese Sicherheit zu sorgen. Dies ist nur möglich, indem auf Landes- und Bundesebene tiefgreifende Reformen beschlossen und umgesetzt werden.
Gleichzeitig muss die ambulante Versorgung gestärkt werden, um eine Überlastung der Krankenhäuser zu vermeiden. Menschen sollen nicht wochenlang im Krankenhaus liegen müssen, weil kein Pflegedienst freie Kapazitäten hat, um die Versorgung nach einer Operation zu übernehmen. Dies würde dazu führen, dass andere Patienten nicht mehr im Krankenhaus aufgenommen werden können, weil die entsprechenden Betten bereits blockiert sind.
Zu 4.:
Die Krankenkassen übernehmen die Vergütung von medizinischen Leistungen (SGB V Leistungen). Beispiele aus dem Pflegealltag sind das Stellen und Verabreichen von Medikamenten, Blutzuckermessungen, Insulingaben, das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen, das Anlegen und Abnehmen von Kompressionsverbänden, Injektionen und die Versorgung von Wunden.
Die Gespräche zwischen Krankenkassen und Pflegediensten über eine höhere Vergütung der SGB V Leistungen haben gezeigt, dass nicht auf Augenhöhe verhandelt wird. Es braucht in Zukunft dringend eine unabhängige Instanz, die die Verhandlungen moderiert und falls nötig zwischen beiden Seiten vermittelt. Denn Schiedssprüche oder ein möglicher Rechtsweg (wie zunächst von der Landesregierung vorgeschlagen) kostet den Pflegediensten zu viel Zeit4. Außerdem fehlen den meisten Betrieben hierfür die personellen und finanziellen Mittel.
Zu 5.:
Alle SGB V Leistungen werden in verschiedene Leistungsgruppen eingeteilt. Je höher die Leistungsgruppe ist, desto höher ist die Vergütung der Krankenkasse für die erbrachte Leistung. Werden mindestens zwei Leistungen aus der gleichen Leistungsgruppe erbracht (z.B. Blutzuckermessung und Insulingabe), bezahlt die Krankenkasse jedoch nur eine Leistung. Für alle weiteren Leistungen aus der Leistungsgruppe wird der Pflegedienst nicht bezahlt.
Werden Leistungen aus verschiedenen Leistungsgruppen erbracht (z.B. Wundversorgung und Medikamentengabe), vergütet die Krankenkasse nur die Leistung aus der höchsten erbrachten Leistungsgruppe. Für alle restlichen Leistungen aus der gleichen bzw. niedrigeren Leistungsgruppen bekommt der Pflegedienst ebenfalls kein Geld.
Werden also bei einem Einsatz vom Pflegedienst mindestens zwei Leistungen aus dem SGB V Bereich erbracht, wird trotzdem nur eine Leistung vergütet.
In der Folge wird durch dieses System die medizinische Versorgung auf dem Land stark zurückgefahren werden müssen, da es sich kaum noch ein Pflegedienst leisten kann, die dort lebenden Menschen mit teils lebensnotwendigen Leistungen zu versorgen.
Zu 6.:
Die vom Pflegedienst erbrachte Grund- und Körperpflege (SGB XI Leistungen) wird von der Pflegekasse finanziert (Pflegesachleistung). Die maximale Höhe der Pflegesachleistung richtet sich nach dem jeweiligen Pflegegrad des Pflegebedürftigen. Je größer der Pflegeaufwand ist, desto höher ist der Pflegegrad und dementsprechend steht dem Pflegebedürftigen durch die Pflegekasse mehr Geld zur Verfügung. Überschreiten die Kosten des Pflegedienstes für die erbrachten SGB XI Leistungen das Budget der Pflegesachleistung, müssen die Pflegebedürftigen den Differenzbetrag selbstständig bezahlen (Eigenanteil).
In der Vergangenheit stiegen für die Pflegedienste die Ausgaben. Dies führte in mehreren Schritten zu einer insgesamt deutlichen Erhöhung der Kosten für Leistungen aus dem SGB XI Bereich. Im gleichen Zeitraum wurden die Pflegesachleistungen nur sehr geringfügig erhöht. Folglich stiegen die Eigenanteile der Pflegebedürftigen, wodurch immer mehr Menschen aufgrund ihrer Pflegebedürftigkeit in die Sozialhilfe gerieten. Andere Pflegebedürftige, die nicht auf die Sozialhilfe angewiesen sein wollten und den erhöhten Eigenanteil nicht bezahlen konnten, entschieden sich, die teils notwendigen Pflegemaßnahmen nicht mehr in Anspruch nehmen zu wollen. In der Konsequenz führt dies zu einem sozialen Rückzug der Betroffenen und einer beginnenden Verwahrlosung (in erster Linie aufgrund des Schamgefühls).
Auch lässt sich beobachten, dass der bürokratische und zeitliche Aufwand in der Kommunikation mit den Sozialhilfeträgern für viele Pflegedienste kaum noch zu stemmen ist.
Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass mit jeder Gehaltserhöhung auch die Preise im SGB XI Bereich steigen, um die Löhne weiterhin finanzieren zu können. Seit der letzten Erhöhung der Pflegesachleistungen zum 01.01.2022 stiegen die Gehälter für Pflegekräfte zwei weitere Male an (Herbst 2022 und Frühjahr 2023). Diese Lohnerhöhungen wurden also in beiden Fällen vollständig auf die Pflegebedürftigen umgelagert und nicht von der Pflegekasse übernommen. Die Pflegesachleistungen werden das nächste Mal erst zum 01.01.2024 um lediglich 5 Prozent angehoben. Fast zeitgleich wird es im Dezember 2023 zu einer weiteren Erhöhung des Tariflohns kommen.
Die Erhöhung der Pflegesachleistungen um 5 Prozent reicht folglich nicht aus, um die finanziellen Belastungen der Pflegebedürftigen zu reduzieren und zugleich die Lohnerhöhung ab Dezember zu finanzieren.
1https://www.gbe-bund.de/gbe/i?i=Pflegebed%C3%BCrftige_Anzahl_und_Quote_u.a._nach_Region_510D (Stand: 26.07.2023)
2https://www.ostsee-zeitung.de/mecklenburg-vorpommern/mv-drei-viertel-der-privaten-pflegedienste-fuerchtenpleite-3WFZMTVNUND33HUNCV3YJZBX2A.html (Stand: 03.08.2023)
https://www.pflege-in-not-mv.de/aktuelles/ (Stand: 03.08.2023)
3https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Grossteil-privater-Pflegedienste-in-MV-fuerchtetum-Existenz,pflegenotstandmv100.html (Stand: 03.08.2023)
4https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Grossteil-privater-Pflegedienste-in-MV-fuerchtetum-Existenz,pflegenotstandmv100.html (Stand: 03.08.2023)